Thoralf Ansgar Lund

und die Folgen der Operation Claymore

(kurze Erzählung)

© Thomas Koepcke

Senden, 11. Februar 2022

www.kurzerzaehlt.de

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Lofoten, Norwegen

Thoralf Ansgar Lund,

2. Weltkrieg, 1941

Es war der 4. März 1941, ein Dienstag. Thoralf war gerade einmal fünf Jahre alt und allein zuhause. Er spielte mit dem hölzernen Fischerboot, dass sein Großvater ihm geschnitzt und zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Thoralf war tief in sein Spiel versunken und erinnerte sich immer wieder an dessen Worte, die sonorige, feste Stimme im Ohr: „Wenn du später auch einmal Fischer werden willst, dann nimmst du dieses Schiff und stellst dir vor, du wärst mit uns auf See. Wenn du fest daran glaubst, wirst du eines Tages genauso ein tüchtiger Fischer werden wie dein Vater.“ Dabei spürte er jedes Mal wieder, wenn er sich erinnerte, was er damals gefühlt hatte, als passiere es genau in diesem Moment, dass sein Großvater ihn mit seinem vom Meer gegerbten, faltigen Gesicht aus liebevollen feuchten Augen ansah und ihm mit seinen riesigen warmen Händen sanft über den Kopf streichelte.

„Vielleicht wirst du dann der Kapitän sein, so wie dein Vater jetzt.“

Der kleine Thoralf hielt sein Holzschiff in die Luft und träumte davon, wie er es durch die Wellen steuerte und sie so viele Fische fangen würden, dass das Wasser bereits bis an die Reling reichte. Er winkte seinem Großvater, seinem Vater und seinen Onkeln auf dem Wasser in Gedanken zu und war stolz auf sich. Es waren glückliche Momente einer bis dahin wunderbaren Kindheit. Er war ein zufriedenes Kind, ohne zu wissen, in welch schwerer Zeit er damals aufwuchs.

Seine Mutter, seine Großmutter und seine Tanten arbeiteten wie die meisten Frauen in der Fischfabrik auf dem „großen Schiff“, das etwas außerhalb im Hafen lag. Das „große Schiff“, wie Thoralf es immer nannte, war ein ehemaliges Handelsschiff Namens ´Hamburg´, dass die Deutschen zu einer mobilen Fischölfabrik umgebaut hatten. Die Lofoten waren seinerzeit ein bedeutendes Zentrum des norwegischen Fischfangs und von den Deutschen besetzt. Sie ließen in den Fischfabriken Fischöl herstellen, das sie dann zu Glycerin weiterverarbeiteten. Es diente als Schmierstoff für Flugzeugmotoren und zur Herstellung von Munition und Sprengstoff.

Für den kleinen Thoralf war die Besetzung durch die Deutschen normaler Alltag, ohne zu wissen, was es bedeutete. Er war zu jung, um es anders zu kennen. Er bekam auch nicht mit, dass seine Eltern immer öfter so geheimnisvoll taten. Ihm fiel allerdings auf, dass sein Großvater oft sehr verbittert war, denn er hatte bereits im ersten Weltkrieg als Soldat gegen die Deutschen kämpfen müssen, wie Thoralf später erfuhr. Wenn es zu schlimm wurde, tröstete seine Mutter ihn mit einem herzlichen und ein wenig verschmitzten Lächeln: „Opa ist ein alter Brummbär“, und Thoralf musste dann herzhaft lachen. Er durfte anschließend an ihrem langsam dicker werdenden Bauch lauschen und seine Mutter erzählte ihm von seinem Geschwisterchen, das er bald bekommen sollte. Damit war für ihn die Welt wieder in Ordnung. Später begriff er erst, was seine Mutter leistete, um seine Kinderwelt in Ordnung zu halten, obwohl die Welt auf den Lofoten in Wahrheit zusammen zu brechen drohte.

Es war ein lausiger Tag, furchtbares Wetter draußen, alles war vereist. Der Kanonenofen bullerte und Thoralf hatte es drinnen mollig warm.

Der Angriff der Engländer kam völlig überraschend. Der Knall der Explosionen war so laut, dass Thoralf noch nicht einmal dazu kam, sich die Ohren zuzuhalten. Er schrie so laut, wie er konnte, doch niemand konnte ihn hören. Sein ganzer Körper vibrierte und zuckte wie durch einen Stromschlag hin und her. Seine Augen schienen vor Panik fast aus dem Kopf zu springen, bevor er auf den Fußboden sackte, ohne dass er irgendetwas dagegen tun konnte. Die umherfliegenden Splitter zerschlugen die Fensterscheiben und der Krach war unerträglich. Blut rann ihm aus Nase und Ohren, bevor sein Körper die Zuckungen einstellte. Er blieb leblos auf dem Fußboden liegen. Dem lauten Knall folgte für einen Moment eine Totenstille, die alles unter sich zu begraben schien, bevor der nächste Knall durch diese Ruhe donnerte, als gäbe es kein Morgen mehr….

Ende der Leseprobe

(Szene verarbeitet in `Das Lächeln der Anderen´)

Senden, 11. Februar 2022